Zwischen Makrobiotik und Massentourismus
Benidorm im Wandel?


Spanien

Häusermeer von Benidorm

Text und Fotos: Stephan Käufer

Ein knapper Hüftschwung dirigiert die Vespa ein klein wenig nach links. Der folgende kurze Dreh am Gasgriff lässt den Roller einen Satz machen. Nun noch ein wenig Hin und Her zwischen den Autos und der Scooter hat sich geschickt um den silbergrauen SLK herum gezirkelt und in die „Pole Position“ gebracht. Jetzt springt die Ampel auf grün. Der Roller schießt nach vorne. Herausfordernd flattert die unter dem Helm hervorlugende rotbraune Mähne im Fahrtwind. Aufgeregt bellt die Hupe unter der Haube des Cabrio. Der ältere Herr mit den grauen Schläfen gibt seiner Verägerung raum. Der flotte Scooter ist schon hinter der nächsten Ampel, als diese auf rot springt. Verschwunden im Gewirr der Straßen und Gassen von Benidorm.

Am Strand von Benidorm

Benidorm – geliebt, verteufelt und bewundert, synonym für Bettenburgen und Massentourismus der sechziger und siebziger Jahre, Teutonengrill, Billigurlaub und Partymeile. Aber auch für Erholung in Wirtschaftswunderzeiten, gesundes Bräunen nach dunklen Zeiten und Neckermann-Pauschale in sich ändernden Zeiten, stand und steht die Stadt am Mittelmeer. Doch wofür steht Benidorm heute tatsächlich?

Makrobiotik, Wellness und Entspannung in der Bucht von Altea

„Der makrobiotische Weg ist kein Dogma, er ist ein Werkzeug“, erklärt der charismatische Schotte Kenneth W. Prange. Zusammen mit seiner Frau hat er ein Ausbildungsprogramm für makrobiotische Ernährung entwickelt. Deshalb ist er in der SHA Wellness Clinic zuständig für alles rund um die Ernährung. Während er redet wiegen sich im warmen Wind auf der Hotelterrasse sacht die Baumwollvorhänge der Aluminiumpavillons, versuchen ihre Dächer vor der spanischen Sonne Schutz zu bieten. Von den cremefarbenen Lederkissen schweift der Blick über die Bucht von Altea und in entgegengesetzter Richtung verweilt er an der Skyline von Benidorm. Von Massentourismus ist nichts zu spüren. Qualität erscheint im Gewand von Makrobiotik, Wellness und Entspannung. „Der erste Schritt zur Gesundheit entsteht immer im Kopf. Gute Ernährung und Bewegung sind wichtig“, führt Prange weiter aus. Hierbei setzt er auf Tofu Suppe zum Frühstück, Entspannung im Floating Room oder bei Massage und Akkupunktur. Individuell zugeschnitten und medizinisch begleitet wird mit jedem Gast ein Gesundheitsprogramm erarbeitet.

Zum shoppen nach Benidorm

Und auch die Wanderung zum Leuchtturm von Albir, der Besuch des „Weißen Dorfes“, dem alten Ortskern von Altea mit den uralten blau leuchtenden Kirchenkuppeln oder die Einkaufstour in die Boutiquen Benidorms, lassen sich in den Tagesablauf einbauen.
Zurückgelehnt in den Sessel der geschmackvollen Tapas Bar erklärt Alexandra Buczynska: „Nach Benidorm fahr ich zum Shoppen“. Die lebenslustige dreiundzwanzigjährige Polin vertieft an der Sprachschule „Proyekto Espanol“ ihre Spanischkenntnisse. Neun Monate verbringt sie dafür an der Costa Blanca, unterstützt wird sie von ihren Eltern. Natürlich ist die Stadt was das Einkaufen betrifft nicht mit Rom, Mailand oder Madrid zu vergleichen, doch die großen Labels finden sich auch in den Geschäften Benidorms und im Gewirr der schmalen Gassen lässt sich selbstverständlich zwischen Touristenläden mit den üblichen Souvenirs manche anspruchsvolle Boutique, der exclusive Juwelier, die mondäne Parfümerie oder der Designerladen finden.

Toller Ausblick über Stadt, Mittelmeer und Region

Überragt wird die Skyline vom Turm des Grand Hotel Bali. Mit 186m Höhe ist es das fünfthöchste Gebäude Spaniens, nur Madrid verfügt über höhere Türme. Fertiggestellt wurde der Tower nach dem Jahrtausendwechsel 2002. Über die an der Fassade angebrachten gläsernen Aufzüge erreicht man die im obersten Stockwerk gelegene Aussichtsplattform. Von dort bietet sich ein toller Ausblick über das Mittelmeer, die Stadt und die Region.

Inmitten seiner Schätzchen Ricardo Frances Segui

Inmitten seiner Schätzchen, wunderschön restaurierten Motorrädern, steht er da. Grüne Gummistiefel, Landarbeiter-Hose, T-Shirt. Groß ist er nicht, also körperlich, etwa 1,68m vielleicht? Seine Gesten sind ausdrucksstark, seine Augen lebendig. Ricardo Frances Segui 62 Jahre jung, beginnt zu erzählen: „Mein Vater hatte einen Kolonialwarenladen hier oben in den Bergen. Wir hatten nicht viel. Ich habe als Landarbeiter gearbeitet, dann kamen die Touristen und mit ihnen bescheidener Wohlstand.

Aufwendig restaurierte Oldtimer

Zusammen mit meiner Frau verkaufte ich die Produkte aus der Region, wir eröffneten ein Restaurant, es lief immer besser“. Ein Motorrad ist Ricardo schon immer gefahren und mit dem bescheidenen Wohlstand fing er an, alte Motorräder zu sammeln. Dann kam die Idee diese zu zeigen, mittlerweile betreibt er etwa 45 Autominuten nordwestlich von Benidorm, im Vall de Guadalest, einem wild- romantischen Gebirgstal direkt an der CV 755 hinter Callosa, sein Oldtimermuseum. Etwa 140 Motorräder aus aller Welt stehen toll restauriert in der Ausstellung. Weitere Schätze, vielleicht 200 vielleicht mehr, warten im Keller auf ihre Restaurierung.

Wanderfreuden bieten die Sierras Wanderfreunden

Ein paar Kilometer weiter liegt das malerisch gelegene, sehenswerte El Castell de Guadalest. Wanderfreunden bieten die Sierras im Hinterland von Benidorm sowie die unmittelbar bei der Stadt am Meer gelegene Sierra Helada manche spektakuläre Aussicht. Und das auch dann, wenn die Strände sich im Spätherbst geleert haben, aber der warme Wind das Frühstück auf der Terrasse dann noch erlaubt, wenn im kalten Nordeuropa die Autos ihre Winterreifen aufgezogen haben und Raureif die Felder überzieht.

Benidorm verschmilzt Kulturen

Natürlich besuchen Benidorm auch heute noch die Massen, warum auch nicht. Mit ihnen kam der Wohlstand in die Region. So haben sich in den Jahren mannigfach sehr hohe Qualitätsstandards herausgebildet. Die sehr gute Infrastruktur, Hotels, Restaurants, Cafe´s und Geschäfte in allen Kategorien, die Anbindung ans europäische Flugnetz durch die Flughäfen Alicante und Valencia sowie die Städte selbst, die zu den schönsten Spaniens zählen, sprechen für sich. Bruce Willis war im September 2010, Bruce Springsteen im Sommer 2009 im Hotel „Barcelo Asia Gardens“ in Benidorm zu Gast. Ja, Benidorm befindet sich im Wandel, so wie alles Gute, und das macht die Stadt am Mittelmeer so interessant. Der Schotte als Ernährungsberater, die Polin in der Sprachschule oder die Asiatin neben der Spanierin als Verkäuferin in der Boutique – Benidorm prosperiert, verschmilzt Kulturen zieht an, verwandelt und schafft Neues während im „weißen Dorf“ uralte blau gebrannte Ziegelsteine die Kirchenkuppel bedecken.

Dem Mädel mit der rotbraunen Mähne wird es eh egal sein. Sie freut sich auf das nächste gewonnene Ampelduell, eine Horchata, die traditionelle Erdmandelmilch, genossen im warmem Sommerwind, oder die kommende durchtanzte Disconacht in den lebendigen Gassen von Benidorm.